· Pressemitteilung

Rückblick auf die Fußball-Europameisterschaft - mit Jürgen Wiesbeck!

U. Bangerter/ DRK LV Baden-Württemberg

„Ein dickes Ding." Jürgen Wiesbeck, Landesdirektor der Bereitschaften im DRK-Landesverband Baden-Württemberg, federführend im DRK-Einsatzstab bei der Fußball-Europameisterschaft UEFA EURO24 im Juni und Juli dieses Jahres.

Herr Wiesbeck, so ein großer Einsatz beginnt nicht erst mit dem Anpfiff zum ersten EM-Spiel im Stuttgarter Stadion, sondern weit im Voraus. Wie aufwendig muss man sich denn diese Vorbereitungen vorstellen?

Der erste Planungstermin war bei uns im Oktober 2023. Davor lagen bereits einige Verhandlungen auf Bundesebene über den Sanitätsdienst bei den Spielen. Für uns waren die wichtigen Fragen, wie der Sanitätsdienst in den Stadien bewältigt werden soll, in welchem Umfang, unter welchen Voraussetzungen. Ganz unvorbereitet waren wir zwar nicht, denn wir kennen ja die Situation bei Länderspielen. Aber solche Turniere haben natürlich immer noch ein paar Sondereffekte, die wir bedenken müssen und einhalten müssen.

Darüber hinaus gab es seit 2023 Gespräche zu den sicherheitsrelevanten Aspekten der Veranstaltungen, die begleitend in der Stuttgarter Innenstadt stattfinden sollten und zudem die Besprechungen mit dem Innenministerium Baden-Württemberg über die Gesamteinschätzung, was da risikomäßig auf uns alle zukommt und was das für den Bevölkerungsschutz bedeutet.

Nach dem Winter dann haben sich die Nebel gelichtet und wir wussten, welche Aufgaben auf uns zukommen, denn erstens hatte das Deutsche Rote Kreuz mittlerweile für fast alle Stadien letztendlich den Zuschlag bekommen. Zweitens waren wir dann einigermaßen über die Planungen für die sogenannten „Fan Zones“ und die Risikoabschätzung der Stadt Stuttgart im Bilde. Drittens mussten wir auch an den Spieltagen umfangreich im Rahmen des Bevölkerungsschutzes unterstützen. Da war uns klar: das wird ein dickeres Ding, jetzt müssen wir alle Kräfte mobilisieren.

Die Kreisverbände waren also schon frühzeitig ins Boot geholt worden?

Die erste Infoveranstaltung hatten wir noch im alten Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr gemacht, ein bisschen die Weihnachtsbesinnung unterbrochen, die Kreisverbände auf diese große Herausforderung im neuen Jahr eingestimmt und ihnen signalisiert: Wir brauchen jede Frau und jeden Mann an diesen Tagen. Und zwar nicht allein für die fünf Spieltage, sondern wir müssen in Stuttgart vier Wochen lang täglich Sanitätswachtdienst machen, mit bis zu einhundertzwanzig Einsatzkräften pro Tag.

Also wurden parallel im Verband schon Vorbereitungen getroffen, auch wenn mit den externen Partnern Bundesverband, Stadt und Land noch nicht alles bis ins letzte Detail durchgesprochen war.

Genau. Es gab Sitzungen und Besprechungen zu diesem Thema in verschiedener Zusammensetzung, auf verschiedenen Ebenen. Die Risikoeinschätzungen waren schon enorm und die sich daraus ergebenden Vorgaben waren happig. In ganz Deutschland waren dann bis zu 5.000 Einsatzkräfte aus dem Sanitätsdienst eingesetzt, zumeist Ehrenamtliche. Manche haben richtiggehend Urlaub für ihre Dienste genommen, auch um Führungsaufgaben übernehmen zu können.

Pro Spieltag mussten außerdem für alle Fälle noch einmal über 500 Einsatzkräfte des Bevölkerungsschutzes aus ganz Baden-Württemberg in Bereitstellungsräumen parat stehen mussten. Diese Menschen konnten wir dann natürlich nicht mehr für den regulären Sanitätswachdienst heranziehen. Die erforderlichen Absprachen mit Arbeitgebern und die Vorbereitungen hinsichtlich der Ausrüstung sind dann für die Einzelstrukturen aus den Kreisverbänden natürlich auch sehr herausfordernd gewesen.

Dann ging es los und es zeigte sich, ob die mühsame Planung und Vorbereitung funktionieren, ob alles ineinander greift in diesen vier Wochen.

Man muss sagen, es hat wirklich funktioniert. Die sehr aufwändigen und gewissenhaften Vorplanungen haben sich ausgezahlt. Trotzdem gibt es eine ganze Menge an Unwägbarkeiten, gerade wenn man jetzt mal davon ausgeht, dass wir an Spieltagen bis zu 750 Einsatzkräfte in Stuttgart gehabt haben.

Die Personalplanung war sicherlich die größte Herausforderung. Es wird ja immer mal jemand krank oder oder es gibt irgendwelche Verschiebungen und tausend andere kleine oder aufwändigere Dinge wie beispielsweise ein liegengebliebenes Auto. Zudem ist vieles ist eben unsicher, immer schwingt eine Ungewissheit mit: Wie wird das Wetter, wie sind die Publikumsströme, wie reagieren die Fans der jeweiligen Mannschaften? Also wir wissen heute, dass das erste Spiel mit den Schotten ganz toll und begeisternd war. Aber vorher ist die Risikoeinschätzung natürlich eine andere, auch die Sorge vor einzelnen Menschen, die stören wollen, die den Frieden und die Party kaputt machen oder Menschen schaden wollen.

Toll ist es dann, wenn nichts Gravierendes passiert, wenn wir unseren Job anständig gemacht haben und wenn jede Helferin und jeder Helfer gut wieder nach Hause gekommen ist.

Es ist ja auch wichtig, dass bei so einem großen Aufwand die Einsatzkräfte mit einem guten Gefühl nach Hause fahren.

Richtig, auch wenn es natürlich immer irgendwo Dinge gibt, die Ruckelig sind. Der eine nimmt das dann ein bisschen stärker wahr, die andere steckt das einfach weg und sagt, das gehört eben dazu. Mir ist es wichtig, dass mit etwas zeitlichem Abstand alle stolz sind, dabei gewesen zu sein und ihren Kindern, ihren Enkeln irgendwann davon erzählen, dabei gewesen zu sein. Das ist das Wichtigste.

Auch aus der Landesbereitschaftsleitung waren fast alle bei allen Spieltagen und natürlich auch in der Vor- und Nachbereitung der Spieltage in Stuttgart im Einsatz. Die ganzen Vorbereitungen geschehen ja im Hinblick auf mögliche schlimme Ereignisse. Man muss auf den Punkt zur Verfügung stehen mit all den Entscheidungen und allen Kräften für den Fall, dass was passiert und da gibt es schon der eine oder andere Schrecksekunde, die dann auch zu bewältigen gibt, ist ja ganz klar.

Auch wenn die vier Wochen sehr friedlich waren: Was hat man gelernt aus dieser Europameisterschaft?

Gerade weil hier viele Partner zusammengewirkt haben bei der gemeinsamen Aufgabe der Euro24, gibt es viele Erkenntnisse und wir müssen das Geschehen ganz genau analysieren, durchaus auch selbstkritisch.

Kleinigkeiten kann man sofort abstellen, kleine Anfangsschwierigkeiten beim Catering etwa. Andererseits sind bestimmte Ärgernisse eben Stuttgart-spezifisch, wie die Parkplatz-Situation. Die ist außerhalb der EM genauso grausam wie während der EM. Insgesamt werden Ereignisse bei einer Fußball-EM eben auch intensiver wahrgenommen.

Andere Dinge kann man aber optimieren und das werden wir auch tun. Aber das braucht Zeit und intensive Abstimmung – auch zwischen den Behörden und den Organisationen.

Eins aber ist gewiss: Während der Fußball Europameisterschaft war Stuttgart der sicherste Ort in ganz Deutschland. Wir hatten alleine in der Stadt Stuttgart an den Spieltagen 750 Sanitätskräfte zusätzlich neben dem sowieso schon vorhandenen Personal.

Vielleicht noch ein Wort zur Zusammenarbeit der beiden DRK-Landesverbände bei der Europameisterschaft?

Also es war eine ganz, ganz tolle Sache. Ich bin jetzt seit 40 Jahren im Roten Kreuz, aber ich habe zum allerersten Mal eine so intensive und tolle Zusammenarbeit erlebt. Das schweißt auch zusammen, wenn man sowas gemeinsam schafft. Es waren tatsächlich vom Südbadischsten Zipfel bis nach Nordbaden, aber auch von der Kurpfalz bis zum Allgäu Leute in Stuttgart, um Dienste zu machen. Die haben gezeigt, was für eine unendliche Stärke wir haben und alle haben dabei unwahrscheinlich viel Freude gehabt.

Wir haben uns ja bereits seit Jahren in vielen Bereichen auf den Weg gemacht, zusammen zu arbeiten. Ob beim Rettungsdienst oder bei der gemeinsamen Landesschule. Auch mit der neuen Landesbereitschaftsleitung im Badischen Roten Kreuz klappt die Kooperation ganz, ganz toll. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, künftig alles aufeinander abzustimmen und miteinander anzugehen, was sich dafür anbietet.

Wir sind in Baden-Württemberg mit den beiden Landesverbänden sicherlich die schlagkräftigsten Rotkreuzverbände in ganz Deutschland und haben die höchste Ehrenamtsdichte in den Bereitschaften mit Sanitäts- und Betreuungsdiensten. Das ist schon war Besonderes in Deutschland, die Kraft, die wir da aufbringen. Insgesamt haben wir in Baden-Württemberg in der Gemeinschaft Bereitschaften rund 45.000 Menschen, die für diese Aufgabe als Sanitäter oder sogar besser ausgebildet sind.

Hinzu kommen die Hauptamtlichen, die insbesondere natürlich auch im Rettungsdienst, in Pflegeeinrichtungen, in Kindergärten oder sonst irgendwo aktiv sind. Also das Rote Kreuz im Südwesten, insbesondere hier in Baden-Württemberg, das ist schon ein großes Potenzial, das muss man einfach so sehen und darauf sind wir stolz.

Was ist Ihnen persönlich in Erinnerung geblieben – ein Moment, ein Erlebnis, eine Szene?

Natürlich gibt da die eine oder andere Szene, die die mir als Leiter des Einsatzstabs in Erinnerung bleiben werden. Besonders gefreut hat mich der Besuch unseres Bundesbereitschaftsleiters am letzten Spieltag. Wir konnten zeigen, was für eine Dynamik was für eine Stärke, was für ein Riesenpotenzial wir in Baden-Württemberg als DRK aufbringen können. Das hat mich stolz gemacht, zeigen zu können, wie wir im Stadion, in der Stadt und auch mit dem Bevölkerungsschutz in den Bereitstellungsräumen organisiert sind – bis hin zum Führungs- und Lagezentrum des Landesverbandes, in der Landesgeschäftsstelle.

Das tolle Miteinander mit den Kolleginnen und Kollegen in der Landesbereitschaftsleitung, die alle einen so wichtigen Beitrag geleistet haben, zusammen mit den Hauptamtlichen aus der Landesgeschäftsstelle, werde ich ebenfalls nicht vergessen. Daran konnte auch eine kleine Duplo-Krise nichts ändern. Wer mich kennt, weiß, wenn die Duplos ausgehen, wird es kritisch. Dank einiger Privatbestände in der Landesgeschäftsstelle war die Krise glücklicherweise schnell überwunden.